aus Alpenüberquerung – zu Fuß von Oberstdorf nach Meran
Tag 4: Von Mittelberg nach Zwieselstein
Die Königsetappe: Aufstieg zur Braunschweiger Hütte
Ein Linienbus brachte uns von unserem Hotel in Stillebach nach Mittelberg, dem Ausgangspunkt unserer heutigen Etappe. Die Busfahrt und die ersten 800 Meter sollten die einzigen halbwegs gerade verlaufenden Abschnitte des Tages bleiben. Die Strecke von Mittelberg nach Zwieselstein forderte uns alles ab, hier war Ausdauer gefragt. Kein Wunder: schließlich bewältigten wir den Anstieg auf 3000 Meter und schafften dabei fast 1400 Höhenmeter aufwärts und im weiteren Verlauf nochmal 400 abwärts.
Doch der Reihe nach. Schon zu Beginn der Wanderung erspähten wir aus der Ferne endlose Schneefelder, die malerisch in der Sonne glitzerten. Was am Anfang noch „einfach nur wunderschön“ war, wurde mehr und mehr zur Herausforderung.
Umweg über endlose Schneefelder
Wir hatten unser Ziel, die Braunschweiger Hütte, schon von Beginn der Tour an in Sicht. Zumindest meinten die erfahrenen Wanderer unter uns, sie auf einem der schneebedeckten Gipfel zu unserer Linken ausgemacht zu haben. Ob nun in Sicht oder nicht – auf dem ersten Teilstück unserer Strecke von Mittelberg nach Zwieselstein bewegten wir uns erstmal von der angepeilten Hütte weg. Vorbei an einem spektakulären Wasserfall machten wir, dem Weg nach rechts folgend, Meter um Meter aufwärts und fanden uns schon bald auf einer geschlossenen Schneedecke wieder.
Unser Guide Reiner hatte für die heutige Etappe extra Eispickel und Sicherungsseile eingepackt. Leider war der „Sommerweg“ Mitte Juni noch so stark eingeschneit und dabei dermaßen steil, dass selbst diese Ausrüstung nicht ausreichte. Aus Sicherheitsgründen nahmen wir einen Umweg in Kauf und folgten der verschneiten, selbstverständlich nicht präparierten Skipiste nach oben. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon einigermaßen groggy und entsprechend nicht sehr begeistert, dass der sichere Umweg eine weitere Stunde „gehen im Schnee“ bedeutete. Zumal es ausgesprochen anstrengend war, in dem tiefen Schnee vor- und aufwärts zu kommen.
Mittagspause auf der Braunschweiger Hütte
Trotz des Umwegs, der uns zeitlich und körperlich ein wenig zurück warf, erreichten wir die Braunschweiger Hütte etwa zur Mittagszeit. Das wohlige Glücksgefühl, diesen Gipfel erklommen zu haben, machte sich breit. Eine ausgedehnte Pause bei strahlendem Sonnenschein inmitten einer wunderschönen Schneelandschaft – das hatte schon ein bisschen was von Skiurlaub.
Wer dachte, mit dem Aufstieg zur Braunschweiger Hütte den anstrengendsten Streckenabschnitt für heute hinter sich gebracht zu haben, wurde nach der Mittagspause eines besseren belehrt. Die folgenden 250 Höhenmeter von der Braunschweiger Hütte zum Pitztaler Jöchl gelten nicht umsonst als einer der schwierigsten Aufstiege des E5.
„Mach dich leicht wie eine Feder“
Bergführer Reiner ging mit stetem Schritt vorweg und spurte für uns einen Weg durch den Schnee. Im Gänsemarsch folgten wir ihm über den weichen Schnee und orientierten uns an den Fußabdrücken unserer Vorderleute. Man konnte es sich nicht leisten, länger an einem Punkt zu verharren, denn sonst gab der weiße Untergrund nach und man versank bis zum Knie im Schnee, wie ich mehrfach testete. Unser schweizerischer Alpin-Profi Urs wusste Rat: „Mach dich leicht wie eine Feder.“ 😃
In Gedanken schwebte ich also die letzten Meter leicht und beschwingt wie eine Feder im Wind nach oben. In Wahrheit stapfte ich mühevoll und schnaufend wie ein Walross, den Blick fest auf die Schuhe meines Vordermannes gerichtet. Wenn ich den Blick doch einmal erhob, hatte ich den Eindruck, überhaupt nicht voran zu kommen. Zumal ich nicht in der Lage war, zwischen all den Gipfeln den richtigen Übertritt vom Pitz- ins Ötztal auszumachen.
Als wir den Schnee verließen, erwartete uns eine ordentliche Kletterpassage, teilweise drahtseilgesichert. Gut, dass wir beim Hochklettern alle gebührenden Abstand voneinander hielten. So konnte man dem ein oder anderen weiter oben losgetretenen Felsbrocken ausweichen.
Abenteuerlicher Aufstieg zum Pitztaler Jöchl
Doch auch damit war der Aufstieg zum Pitztaler Jöchl noch nicht ganz vollbracht. Als wir an einer steilen Stelle ein Schneefeld querten, leistete Rolf sich einen Fehltritt, rutschte aus und drohte, auf dem Rücken liegend den Hang hinab zu rutschen. Mit vereinten Kräften schafften wir es, seine Position zu stabilisieren und ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien. Puh. Bei dieser Rettungsaktion brach ich selbst etwa hüfttief im Schnee ein und kam nur mit Unterstützung des Teams (besonderer Dank an Nicole) vom Fleck.
Wir waren alle froh, als wir endlich oben ankamen und bei einer Rast mal durchschnaufen konnten. Dabei ließen wir das Wahnsinnspanorama der Ötztaler Alpen auf uns wirken. Kaum ein Wölkchen am Himmel, das unsere Sicht hätten trüben können – besser ging es nicht. Obendrein war es so warm und sonnig, dass die Schokolade an unseren Müsliriegeln geschmolzen war. Und das auf der Höhe. 3000 Meter – wow. Der höchste Punkt der gesamten Tour.
Entlang der mit Planen geschützten Ski-Weltcupstrecke am Rettenbachgletscher von Sölden machten wir die letzten Meter des Tages aus eigener Kraft – und zwar zur Abwechslung mal abwärts. Am liebsten hätten wir uns einfach auf den Hosenboden gesetzt und wären darauf zur Gletscherarena herunter gerutscht. Auf den letzten Metern, kurz bevor wir unser Etappenziel erreicht hatten, brach Carstens Wanderstock ab und blieb zu zwei Dritteln im Schnee zurück.
Fazit: Panorama – den ganzen Tag nichts als Panorama
Was für ein Tag, was für ein Erlebnis. Unser Weg von Mittelberg nach Zwieselstein war gleichermaßen schön und anstrengend. Immerhin lenkten uns die traumhaften Ausblicke und facettenreichen Eindrücke ein wenig von den Strapazen des Aufstiegs ab. Rolfs Sturz, Carstens abgebrochener Stock, ich selbst hüfttief im Schnee – das war fast ein bisschen zu viel Abenteuer für unseren Geschmack.😉
Ziemlich erschöpft, aber unendlich happy, dass wir diese Königsetappe gepackt haben, erreichten wir per Bustransfer Zwieselstein im Ötztal.